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wir sind in einem netten zimmer mit bad untergebracht, das zu einem haus des örtlichen museums gehört. es gibt dort drei oder vier wohneinheiten, die für gäste oder studenten des museums zur verfügung stehen. wir haben die schätzenswerte ehre, dort wohnen zu dürfen.

am vormittag fahren wir mit eva und etelka einige km außerhalb der stadt zu einem neuerrichteten mineralwassermuseum. die gegend hier ist berühmt für seine heil- und mineralwässer. die meisten von ihnen wurden während der österreichisch-ungarischen monarchie im 19. jahrhundert erschlossen.
hier, in bad seiche (szejkefürdõ), fließt das wasser der orbán balázs quelle. orbán balázs war seit 1871 besitzer des 22hektar großen badeortes und wurde bekannt, als verfasser des geschichtswerkes „die beschreibung des seklerlandes aus geschichtlicher, archäologischer, geographischer und ethnologischer sicht“. das schwefelhaltige und stark nach petroleum riechende quellwasser fließt mit 20l pro minute aus dem brunnen, zu dem jeder freien zugang hat und sich soviel wasser mitnehmen kann, wie er will. natürlich haben auch wir davon getrunken. ein solches wasser darf man keinesfalls versäumen. es schmeckt gewöhnungsbedürftig, aber eindeutig gesund.

am nachmittag fahren wir in das ca. 30km weit enfernte dorf varsag, wo evas großvater wohnt. der weg dorthin, stellt, sich als etwas ungewöhnlich heraus. die letzten 10km zum dorf varsag legt man auf einer im wahrsten sinn des wortes durchlöcherten straße zurück, bei der kaum eine höhere durchschnittsgeschwindigkeit als schritttempo möglich ist. das dorf varsag ist eine streusiedlung, in der die einzelnene gehöfte meist weit auseinander liegen. zum haus des großvaters gehen wir noch 10 minuten zu fuß durch einen wald, bis wir auf eine leichte anhöhe mit blick auf ausgedehnte almwiesen kommen. pferde, kühe, schafe weiden hier – eine idylle. doch wie jede idylle bricht sich auch diese an der realität des alltags. der 86 jährige großvater lebt seit dem tod seiner frau hier alleine. er hat einen wachen blick, versorgt sich selbst im haushalt, hackt holz für seinen küchenherd, der gleichzeitig wärme spendet und heißes wasser liefert. als wir ankommen kredenzt er uns einen selbstgebrannten, exrta starken schnaps. aus seinen augen blitzt ein leicht verschmitzer ausdruck, als zeichen seiner ungebrochenen lebensenergie. für ihn ist diese gegend keine idylle, sondern lebensgrundlage, mit allen höhen und tiefen eines beschwerlichen und dennoch erfüllten lebens. seine kinder haben ihm angeboten, in die stadt zu ziehen, wo er es leichter, bequemer hätte. er hat das bisher abgelehnt, was ich gut verstehen kann. es ist nicht unbedingt die bequemlichkeit, die einem den sinn des lebens erschließt. hier lebt er in einer überfülle an eindrücken einer ihm vertrauten und stärkenden umgebung. das kann durch das angebot der warenwelt nicht ersetzt werden. ein guter konsument ist immer ein junger konsument. das privileg der jugend ist ihre ferne zum tod und damit zur vergänglichkeit. ideale voraussetzungen, um sehnsüchte nach dem bunten einerlei dieser warenwelt zu wecken. es scheint daher auch kein zufall zu sein, dass zu den verlierern des systemwechsels die alten menschen zählen. evas großvater muß mit einer rente von 100€ das auslangen finden. eine besondere erschwerniss, die zur erschwerniss des alters hinzukommt.

nach der köstlichen brennesselsuppe, die eva mit frisch gepflückten, vor dem haus wachsenden brennesseln für uns zubereitet hat, sitze ich kurz allein mit dem großvater in der küche. wir rauchen eine zigarette und er bietet mir nochmals von dem selbstgebrannten ein gläschen an. er kann nicht deutsch und ich nicht ungarisch und dennoch entwickelt sich durch die gemeinsame zigartte eine stumme unterhaltung.
bevor wir evas großvater verlassen, demonstriert er uns noch seine kunst des holzschindelschnitzens. mit sichtlichem stolz führt er uns mit routinierten handgriffen vor, wie aus einem brettchen eine dachschindel entsteht.

cuisinier: éva
recette: csalanleves (brennesselsuppe)
galerie: bei grossvater in den bergen
koordinaten: 46.517, 25.35

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