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wir und die suppe sind um 2h mittags bei hartmuts cousin stephan und seiner lebensgefährtin maria in leipzig angesagt.
mit über einer stunde verspätung treffen wir dort ein. peinlich. wir hatten nicht erwartet, dass wir zu einem gepflegten lunch mit geladenen gästen, festlich gedecktem tisch, amuse geule, vorspeise und einer königlichen fischsuppe erwartet werden.

zum glück sind unsere gastgeber weder pingelig noch nachtragend und auch die übrigen gäste georg, ellen und claudia nehmen die sache gelassen. die freude über die ankunft der jahressuppe überwiegt und so verbringen wir einen unterhaltsamen sonntagnachmittag bei suppe, wein und – einer weiteren facette in der diskussion um architektonische innovation und denkmalpflegerischem anspruch.
architekt georg argumentiert strikt für eine moderne, zeitgemäße lösung in der frage berliner schloß, republikpalsat. es macht einen unterschied, ob ein historisches gebäude durch irgendein singuläres ereignis zerstört und anschließend gleich wieder aufgebaut wird oder im zuge gesellschaftspolitischer umwälzungen und kriegerischer auseinandersetzungen im laufe von mehreren jahrzehnten völlig neue architektonische zusammenhänge und bedeutungen geschaffen werden. diese lassen sich nicht einfach rückgängig machen. solche prozesse verlangen eine aus der jeweiligen zeit heraus gültige und adäquate antwort, die sowohl das historischen geschehen ins bewußtsein rückt, als auch einem zeitgemäßen, architektonischen anspruch genügt.

die diskussion hier in leipzig ist nicht zufällig.
auf dem platz zwischen gewandhaus und oper wird gerade ein neubau der universität errichtet. es ist der platz, an dem bis 1968 die universitätskirche st. pauli gestanden hat. die 700 jahre alte kirche war eines der wenigen, im zweiten weltkrieg unversehrt gebliebenen gebäude gewesen. die vereinfachte version, warum es diese kirche nicht mehr gibt, lautet folgendermaßen: walter ulbricht soll eines tages nach einem opernbesuch hinüber auf st. pauli geblickt und gesagt haben: „die muß platt gemacht werden !“
wenn es auch nicht die alleinige entscheidung des damaligen staatsratsvorsitzenden war, so bringt es doch die unglaubliche ignoranz gegenüber kulturellen überlieferungen und die politische dimension des schlechten geschmacks auf den punkt. die vehemenz und die brachiale gewalt mit der hier ideologische verblendung quasireligiöse züge annimmt, im glauben daran, dass bei der schaffung des neuen menschen alle zeugnisse der vergangenheit gelöscht werden müssen, gleicht der religiös motivierten zerstörungswut der afghanischen taliban, die vor wenigen jahren mit der sprengung der buddhastatuen in bamian ein ähnlich trauriges beispiel sinnloser gewalt geliefert haben.

die lösung hier in leipzig: die st. pauli kirche wird als st. pauliaula aus stahlbeton mit einigen abweichungen vom original neu gebaut. ob diese lösung gelingt, wird erst die fertigstellung zeigen. den radikalen originalgetreuen nachbau eines zerstörten historischen gebäudes kann man in dresden an der frauenkirche bewundern oder ablehnen.

koch: christl und stephan
rezept: Königliche Fischsuppe
galerie: königliche fischsuppe im hause könig
koordinaten: 51.320410, 12.380245

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